Wirtschaft und Wissenschaft als Kooperationspartner – gemeinsam für das Ruhrgebiet

Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather (Kuratoriumsvorsitzende, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung)

Frau Gather, Sie kennen das Ruhrgebiet in vielen Rollen – als Wissenschaftlerin, Universitätsrektorin und heute als Aufsichtsratsmitglied der thyssenkrupp AG und Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Was verbinden Sie persönlich mit dieser Region?

Auch wenn es schon oft gesagt wurde: Das Ruhrgebiet ist für mich die Region des ständigen Wandels – eine Region, die sich immer wieder neu erfunden hat und neu erfindet und die den Wandel kann! Denken Sie nur an die immensen Anstrengungen rund um das Ende des Bergbaus, das bewältigt wurde, und an das Erstarken der Wissenschaftslandschaft ebenso wie deren erfolgreiche Verbindung mit der Industrie. Ein gutes Beispiel ist der Aufbau des TechnologieZentrumDortmund samt Technologiepark ab 1985, einer der größten seiner Art in Deutschland. Diese Fähigkeit zur permanenten Veränderung, verbunden mit einem großen Gestaltungswillen, prägt das Ruhrgebiet und macht es für mich zu einer besonderen Region in Deutschland.

 

Das Ruhrgebiet ist seit jeher eine Region des Wandels – von der Montanindustrie hin zu einer vielfältigen Wissens- und Wirtschaftsregion. Wo sehen Sie die größten Fortschritte in dieser Transformation und wo die größten Herausforderungen, um die Region zukunftsfähig zu halten?

Die Transformation ist in vielen Bereichen sehr erfolgreich verlaufen. Besonders beeindruckt mich die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft sowie der Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Mit fünf Universitäten, 17 Hochschulen und 25 außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten verfügt das Ruhrgebiet heute über eine europaweit einzigartige Dichte und Vielfalt an wissenschaftlichen Einrichtungen. Das ist eine wichtige Entwicklung, die die Region zukunftsfähig aufstellt. Gleichwohl sollten wir nicht den Blick von den Herausforderungen abwenden, etwa den Industriestandort Ruhrgebiet zu erhalten. Diese Aufgabe muss allerdings an den heutigen Prämissen und Vorzeichen ausgestaltet werden: mit dem klaren Willen zu Effizienz, Innovationskraft und Nachhaltigkeit.

 

 

Im Initiativkreis Ruhr sind mehr als 70 Unternehmen und weitere Institutionen vernetzt – darunter auch Universitäten und Hochschulen. Welche Rolle spielt diese Zusammenarbeit für die Innovationskraft der Region? Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht als Rektorin der TU Dortmund gemacht?

Die enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft ist aus meiner Erfahrung ein zentraler Erfolgsfaktor für die Innovationskraft der Region. Als Rektorin der TU Dortmund habe ich diesen Brückenschlag stets aktiv gefördert und mich zum Beispiel sehr darüber gefreut, dass in dieser Zeit die Rektoren der Ruhrgebiets-Universitäten Mitglieder im Initiativkreis Ruhr wurden. Mittlerweile ist das eine Selbstverständlichkeit, was auch als Zeichen für die heutige enge und erfolgreiche Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft gewertet werden kann.

 

Wie kann die Wirtschaft noch besser von der Wissenschaftslandschaft mit über 20 Hochschulen und rund 240.000 Studierenden profitieren und wie können beide Welten sich gegenseitig befruchten?

Das Potenzial ist enorm. Wir blicken bereits heute auf erfolgreiche Projekte, die die Innovationskraft der Region weiterbefördern. Ein gutes Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken von Wirtschaft und Wissenschaft ist die BRYCK Startup Alliance als Startup-Initiative von RAG-Stiftung, Universitätsallianz Ruhr und Initiativkreis Ruhr. Auch Großprojekte wie Carbon2Chem von thyssenkrupp mit der Wissenschaft zeigen eindrucksvoll, wie Forschungsexzellenz und industrielle Anwendung zusammenwirken können. Entscheidend ist, diese Kooperationen konsequent weiter auszubauen und junge Talente einzubinden. Wenn Wissenschaft und Wirtschaft ihre Kräfte bündeln, entstehen Innovationen, die weit über das Ruhrgebiet hinauswirken.

Von 2008 bis 2020 war Ursula Gather Rektorin der Technischen Universität Dortmund, wo sie zuvor einen Lehrstuhl in der Fakultät Statistik innehatte. Seit 2011 ist Ursula Gather Mitglied des Kuratoriums der Krupp-Stiftung und seit 2013 seine Vorsitzende. Ihre Aufsichtsratsmandate umfassten bis 2024 die Munich RE und aktuell seit 2018 die thyssenkrupp AG

 

Welche Rolle können gemeinnützige Akteure wie die Krupp-Stiftung einnehmen im Sinne einer aktiven Transformation der Region?

Stiftungen haben die Möglichkeit, langfristige Strukturen zu schaffen und gesellschaftliche Veränderungsprozesse gezielt zu unterstützen. Hier möchte ich auf das Engagement der RAG-Stiftung verweisen, die mit ihren Förderaktivitäten die gesamte Bildungskette abbildet, angefangen bei frühkindlicher Bildung in Kitas bis hin zu Ausbildung und Studium.

Auch die Krupp-Stiftung engagiert sich in der Nachwuchsförderung: Mit unseren Auslandsbetriebspraktika haben wir seit 1998 mehr als 1.300 Schülerinnen und Schülern aus Essen erste Erfahrungen im Berufsleben und Einblicke in fremde Kulturen ermöglicht, was aufgrund der Durchdringung und Laufzeit als strukturelle Förderung in der Region gelten kann.

Und nicht zuletzt zeigen Projekte wie die Ausstellung „21 x 21“, die diesen Sommer alle Ruhrgebietsmuseen in der Villa Hügel vereinte, was möglich ist, wenn große Stiftungen und andere Institutionen gemeinsam ein Ziel verfolgen.

 

Viele Studierende und junge Talente verlassen nach dem Studium die Region. Was braucht es, damit das Ruhrgebiet für Fachkräfte langfristig attraktiv bleibt?

Die Daten zeigen ein anderes Bild: Etwa 70 Prozent der Hochschulabsolventinnen und -absolventen bleiben im Ruhrgebiet – ein Wert, der vergleichbar ist mit anderen Wissenschaftsregionen. Entscheidend ist, den jungen Menschen zu verdeutlichen, welche Chancen sie hier haben. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, attraktive Arbeitsplätze und eine lebendige Kulturlandschaft, guter Wohnraum und Lebensqualität sind die besten Argumente, in der Region zu bleiben.

 

Als Mitglied des Initiativkreises Ruhr engagieren Sie sich gemeinsam mit führenden Unternehmen für die Zukunftsgestaltung. Wo sehen Sie die besonderen Stärken dieses Netzwerks?

Der Name ist hier Programm: Der Initiativkreis ergreift immer wieder aufs Neue Initiativen und Gestaltungsansätze für die Region. Diese Kraft entsteht aus der gemeinsamen Verantwortung der über 70 Partnerunternehmen und weiteren Institutionen. Besonders erfreulich finde ich, dass sich mit dem „Jungen IR“ auch eine Plattform für die nächste Generation etabliert hat, die Zukunft aktiv mitgestalten möchte.

 

Das Ruhrgebiet ist für mich die Region des ständigen Wandels – eine Region, die sich immer wieder neu erfunden hat und neu erfindet und die den Wandel kann!

-Prof. Dr. Dr. Ursula Gather

 

Welche Themen sollten aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren noch stärker in den Fokus rücken, um den Wandel erfolgreich zu gestalten?

Für mich steht ein Thema über allem: Bildung, insbesondere frühkindliche Bildung. Durch Bildung können wir Chancengerechtigkeit für die nächste Generation herstellen und so die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft legen. Sie ist der Schlüssel für wirtschaftliche Stärke und damit für eine starke Gesellschaft im Ruhrgebiet.

 

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie wünschen Sie sich das Ruhrgebiet im Jahr 2040 – als Lebens-, Wirtschafts- und Wissenschaftsraum?

Ich wünsche mir, dass das Ruhrgebiet seinen Weg konsequent weitergeht: als moderne, innovative und offene Region, die Tempo macht, Vorreiter für neue Ideen und Entwicklungen ist und für Demokratie und Toleranz steht. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft steht auf sehr guten Füßen: Weiter so! Kunst und Kultur sind hier zu Hause und diese Vielfalt sollte erhalten, gepflegt und weiterentwickelt werden. Kurzum: Ich wünsche mir ein Ruhrgebiet, das auch 2040 voller Energie, Ideen und Gestaltungswillen ist!

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather , Vorsitzende des Kuratoriums