Wie die Urbane Zukunft Ruhr Duisburg-Hochfeld vernetzt und verändert: Ein Interview mit den Geschäftsführern

Die UZR-Geschäftsführer Nils-Christoph Ebsen und Ibrahim Yetim auf dem Platz Ecke Sedanstraße/Hochfeldstr., der für sie symbolisch für den Stadtteil steht. Obwohl Sitzmöglichkeiten fehlen und die Gestaltung schlicht ist, ist der Platz stark frequentiert. Wie öffentlicher Raum attraktiver gestaltet und die Lebensqualität der Menschen in Hochfeld verbessert werden kann, ist eine der Kernaufgaben der UZR.
2025 ist ein richtungsweisendes Jahr für das jüngste Leitprojekt des Initiativkreises Ruhr, Urbane Zukunft Ruhr (UZR). Das Ziel: Den Duisburger Stadtteil Hochfeld lebenswerter zu gestalten. Die Geschäftsführer Nils Ebsen und Ibrahim Yetim im Sommerinterview über die Herausforderungen und Highlights der vergangenen Jahre.
Für Sie beide ist UZR vor rund zweieinhalb Jahren auch persönlich ein Neubeginn gewesen. Herr Yetim, Sie haben Ihr Mandat als Landtagsabgeordneter niedergelegt, Herr Ebsen, Sie haben für UZR Ihre Beraterkarriere an den Nagel gehängt. Was hat sie beide zu diesem Schritt motiviert? Und wie setzen Sie die Fähigkeiten aus Ihrer vorherigen Karriere bei UZR ein?
Yetim: Für mich war es wichtig, etwas zu machen, was ähnlich sinnstiftend ist wie Politik und was direkt den Menschen nützt und hilft. Ich bin zwar in Dinslaken geboren, aber in Duisburg groß geworden, habe einige Jahre nur wenige Meter von der Hochfelder Grenze enfernt gelebt. Hier bin ich sozialisiert worden, auch politisch. Im Kern geht es mir darum, Perspektiven für die Menschen und Mehrwert für die ganze Stadt zu schaffen.
Ebsen: Ich habe als Unternehmensberater bereits viele Veränderungsprozesse gemanagt. Komplizierte Veränderungen in Organisationen zum Erfolg zu bringen, war mein Tagesgeschäft. Einen Stadtteil wie Hochfeld zu transformieren, finde ich sehr spannend, denn es ist systematisch etwas anderes, es ist komplex: eine große Herausforderung.
Yetim: Ganz entscheidend ist es, mit den Menschen hier umgehen zu können und zu wissen, wie die Ansprüche sind im zivilgesellschaftlich-politischen Raum.
Ebsen: Mir hilft es, dass ich weiß, wie man verschiedene Bälle zeitgleich in der Luft hält, und das ist nötig bei unserem Multiprojektansatz. Ich glaube, mir hilft auch der Wunsch, etwas zum Guten zu verändern. Auf Neudeutsch würde man sagen, ich bin “purpose driven”. Schön finde ich, dass bei UZR die Erfolge unmittelbar sichtbar werden – etwa, 150 Jugendliche, die beim „Career Center“ dabei waren oder sind, in eine Ausbildung zu bringen.
Was sind Ihre bisherigen Highlights aus Ihrer Zeit bei UZR?
Yetim: Die aktuell laufenden Projekte, wie das Career Center. Das gibt es in der Form bundesweit nur einmal. Der Einstieg der EDEKA-Zukunftsstiftung war da sicherlich mitentscheidend für den Erfolg. Und dass wir die Fläche an der Wörthstraße neu entwickeln können, gemeinsam mit der Stadt – das ist schon etwas Besonderes und damit entsprechen wir auch unserem Auftrag, den Stadtteil nachhaltig zu verändern. Auch die vermeintlichen kleineren Projekte, wie die Lernpaten oder das Demokratieprojekt, zähle ich zu meinen Highlights.
Ebsen: Mein erstes Highlight dieses Jahr ist, dass wir erfolgreiche Projekte, wie das Career Center oder die Lernpaten, auf andere Stadtteile ausweiten können. Diese Multiplikationseffekte sind wichtig. Mein zweites Highlight ist die Entwicklung des Chatbots für Sozialakteure in Kooperation mit accenture. Hier entwickeln wir eine niedrigschwellige Dienstleistungs-App, die über Sprachnachrichten in Messenger-diensten bedient werden kann und beispielsweise Auskunft über die Zuständigkeiten von Ämtern gibt, aber auch Übersetzungen für Formulare bietet oder auf Arabisch oder Romanes erklärt, welche Dokumente bei der Anmeldung in KiTa und Schule mitgebracht werden müssen und wie ich sie ausfülle. Ich bin überzeugt davon, dass sich dieses Investment auszahlen wird. Das dritte Highlight ist, wie bei Ibrahim, die Entwicklung der Flächen an der Wörthstraße gegenüber des Rheinparks. Wenn die Menschen im Stadtteil mit eigenen Augen sehen, dass in ein Ausbildungszentrum in Hochfeld investiert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Bevölkerung selbst auch mehr in ihren Stadtteil investiert.
Für das Demokratieprojekt konnte die damalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, jetzt Bundesarbeitsministerin, als Schirmherrin gewonnen werden. Hilft eine prominente Unterstützung bei der Arbeit vor Ort?
Yetim: Ich glaube, dass die Schirmherrschaft der damaligen Bundestagspräsidentin zu mehr Sichtbarkeit geführt hat und auch dazu, dass die Bank im Bistum gesagt hat, wir machen auch mit. Wenn man jemanden mit im Boot hat, der bundesweit bekannt ist, hilft das schon sehr.
Ebsen: Und Bärbel Bas ist Hochfeld sehr verbunden und kennt den Stadtteil, denn er ist Teil ihres Wahlkreises.
Ein Projekt, für das auch extra eine Stelle geschaffen wurde, ist das Career Center. Dahinter verbirgt sich mehr als nur Karriereberatung im klassischen Sinne. Was hat es damit auf sich? Und warum ist das Projekt ein echter Erfolg und eine Errungenschaft für Hochfeld?
Ebsen: Die Grundannahme des Projektes ist, dass wir hier Kinder unterstützen, die von Haus aus nicht so viel Unterstützung erhalten. Diese Rolle übernimmt bei uns Christian Peißer. Er geht auch notfalls zu den Eltern nach Hause und erklärt, warum es wichtig ist, dass ihre Tochter oder ihr Sohn nach der 10. Klasse eine Ausbildung macht oder weiter zur Schule gehen sollte, um Abitur zu machen. Wir haben Christian einen Werkstudenten zur Seite gestellt, der sich unter anderem darum kümmert, die Unternehmen abzutelefonieren für Praktikumsplätze. Wir leisten also sehr konkrete und direkt wirksame Unterstützung, bei den Kids hier vor Ort, und in deren Elternhäusern.
Yetim: Die Schülerinnen und Schüler gehen auch eigenständig auf Christian zu, weil er Ihnen als konkreter Ansprechpartner vor Ort zur Seite steht und sie ihn kennen. Die Jugendlichen machen sich durchaus Gedanken dazu, wie ihre Zukunft aussehen soll, was sie beruflich machen möchten.
Was brauchen die Menschen in Duisburg-Hochfeld aus Ihrer Sicht und Erfahrung nach am dringendsten, um nachhaltig bessere Partizipations- und Aufstiegschancen zu erhalten?
Yetim: Was Menschen brauchen, ist etwas sehr Individuelles. Was Neuankömmlingen aber gemein ist, ist, dass sie die erste Zeit in ihrer eigenen Blase leben. Das war mit den Gastarbeitern in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht anders und das ist mit den Zugezogenen aus Südosteuropa heute auch nicht anders. Gerade in Hochfeld müssen wir den Zugewanderten die Wege zeigen, die Türe öffnen. Durchgehen müssen sie selbst – aber sie brauchen Perspektiven. Partizipation kann man nicht verordnen. Aber zeigen, wo die Menschen Chancen bekommen können, das können wir! Nehmen wir unser Demokratieprojekt: Hier zeigen wir den Kindern, dass sie gerne mitmachen können, dass sie wählen und Dinge dadurch verändern können. Sie müssen nur mitmachen. Und der Aspekt der Nachhaltigkeit ist sehr wichtig. Einmalige Aktionen sind schön, aber hallen nicht lange nach. Wir brauchen also regelmäßige und lange laufende Projekte.
Ebsen: Genau. Die Veränderung in Hochfeld lebt von Verlässlichkeit und Langfristigkeit. Und es gibt keine Teilhabe ohne Verantwortungsübernahme. Ein Beispiel dafür ist die Neugestaltung des tristen Platzes an der Sedanstraße Ecke Hochfeldstr.(siehe Foto), die wir jetzt mit den Anwohnern gemeinsam angehen wollen. Da gibt es sogar eine Bachelor-Arbeit der Fakultät für Geowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum zu, die sich mit der Attraktivierung des öffentlichen Raums beschäftigt und konkret schaut, was passieren müsste, um die Aufenthaltsqualität an dem Platz zu verbessern. Bei uns vieles ist experimentell, es gibt kein Patentrezept. Wir müssen alles neu entwickeln, das ist unsere tägliche Herausforderung.
Zu guter Letzt: Was ist aktuell noch geplant für dieses Jahr?
Ebsen: Ich hoffe, wir können dieses Jahr noch Mittel für das zweite Career Center akquirieren. Und unser Projekt „Community Scouts“ startet. Außerdem wird der Chatbot dieses Jahr fertig, da bin ich sehr zuversichtlich. Auch nicht unwichtig: Wir bekommen ein neues Büro, das noch näher am Geschehen ist.
Herzlichen Dank für das Interview!
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