„Hochfeld braucht ein von allen getragenes Zukunftsbild“

Feb 10, 2023 | Bildung, Kultur, Wirtschaft

Prof. Dr. Uta Hohn (2. v.r.) bildete mit ihren Student:innen Arbeitsgruppen in den Forschungsfeldern „Grüne Transformation“, „Soziokulturelle Vielfalt und Teilhabe“, „Öffentliche Räume“ und „Governance“. Nun hat sie Handlungsempfehlungen für Urbane Zukunft Ruhr formuliert. (Foto: Stefan Fercho / IR)

Im Juni 2022 haben wir Prof. Dr. Uta Hohn interviewt. Sie lehrt an der Ruhr-Universität Bochum Internationale Stadt- und Metropolenentwicklung und hat im Sommersemester 2022 das Seminar „Urbane Zukunft Ruhr: Duisburg-Hochfeld als Reallabor“ angeboten, in dem der Duisburger Stadtteil Hochfeld mit seinen vielen sozialen, kulturellen, ökologischen und stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen im Mittelpunkt des forschenden Lernens stand. Dazu wurden vier Arbeitsgruppen gebildet: „Grüne Transformation“, „Soziokulturelle Vielfalt und Teilhabe“, „Öffentliche Räume“ und „Governance der Transformation“. Jetzt ist die Evaluation des Seminars abgeschlossen. Wir haben Prof. Dr. Hohn und drei ihrer Studentinnen zum Interview gebeten, um über die Ergebnisse zu sprechen.


 

Das Seminarprojekt zum Stadtteil Hochfeld ist nun abgeschlossen. Wie ist die Evaluation ausgefallen, was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Prof. Dr. Hohn: Als erstes lässt sich festhalten, dass Hochfeld ein von allen getragenes Zukunftsbild braucht, das vor allem zum Mitmachen motiviert. Leitgedanke könnte hier eine sozial-ökologische Transformation sein, die die kooperative Gestaltung des Stadtteils zum Thema macht und bei der Fragen der Chancen-, Zugangs- und Teilhabegerechtigkeit im Fokus stehen. Dabei wären unseren Ergebnissen nach wiederum drei Dinge wichtig: Hochfeld braucht als junger und bildungsbenachteiligter Stadtteil eine Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsoffensive, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit in vielfältiger Weise verknüpfen ließe. Das zweite große Thema ist das Stadtbild: Hier müssten Problemimmobilien an exponierten Standorten im Quartier als Ankerimmobilien völlig neu in Wert gesetzt, öffentliche Räume nachhaltig nutzbar gemacht sowie grüne Infrastrukturen weiterentwickelt und vernetzt werden. Zum Dritten braucht es auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit eine neue Offenheit für partnerschaftliches Kooperieren und Experimentieren bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Projekten. Die Fortschritte auf dem Weg zu einem grünen und zugleich kunterbunten, lebenswerten Hochfeld sollten nach und nach auf thematischen Zukunfts-Trails durch den Stadtteil präsentiert werden – das ist ein ganz konkretes, greifbares Ergebnis.

Voraussetzung dafür, im Geiste einer gerechten sozial-ökologischen Transformation ist, dass alle Akteur:innen ihre eigenen Interessen, Denkmuster, Rollen und Machtressourcen stärker reflektieren und den Mut zu mehr Transparenz und vertrauensbasierter Kooperation aufbringen.

Während des halben Jahres haben wir immer wieder gesehen, wie viel Engagement es im Stadtteil gibt, das über eine stärkere wechselseitige Sichtbarkeit und synergetische Vernetzung noch viel mehr Wirksamkeit entfalten könnte. Voraussetzung dafür, im Geiste einer gerechten sozial-ökologischen Transformation ist, dass alle Akteur:innen ihre eigenen Interessen, Denkmuster, Rollen und Machtressourcen stärker reflektieren und den Mut zu mehr Transparenz und vertrauensbasierter Kooperation aufbringen. Frau Kleinsteinberg, Sie haben sich in der Gruppe „Governance der Transformation“ mit dem Akteurs-Netzwerk in Hochfeld beschäftigt. Was waren für Sie überraschende Erkenntnisse aus dem Projekt?

Anna Kleinsteinberg: Was ich spannend fand, ist, dass es einen Perspektivwechsel vor Ort gab, da, wo es viel um Chancengerechtigkeit geht und um Prozesse, die mit Zuschreibungen zu tun haben. Was haben wir uns als Studierende vorgestellt, und was denken die Bewohner:innen selbst? Spannend war es, wo es auseinanderging: Viele Kinder zum Beispiel empfinden es gar nicht als mangelhaft, dass sie nicht genügend Grünflächen zur Verfügung haben. Und das Akteurs-Netz ist viel ausdifferenzierter, als wir angenommen hatten. Wir haben herausgefunden, dass die Themen Soziales und Integration sehr vielfältig angegangen werden, andere Themen aber unterrepräsentiert sind, wie die ökologische Nachhaltigkeit. Wir konnten die Frage nach dem Reallabor auch bejahen: Es braucht allerdings die Bereitschaft der Akteur:innen zu echter Kooperation.

 

Die Fortschritte auf dem Weg zu einem grünen und lebenswerten Hochfeld sollen nach und nach auf thematischen Zukunfts-Trails durch den Stadtteil präsentiert werden. (Foto: Stefan Fercho / IR)

Die Fortschritte auf dem Weg zu einem grünen und lebenswerten Hochfeld sollen nach und nach auf thematischen Zukunfts-Trails durch den Stadtteil präsentiert werden. (Foto: Stefan Fercho / IR)

In der Gruppe „Grüne Transformation“ haben Sie sich in Hochfeld mit grünen Infrastrukturen und ihren Potentialen für eine grüne Transformation im umfassenden Sinne auseinandergesetzt angeschaut. Wie haben Sie das erlebt, und was ist mit Zukunfttrails genau gemeint?

Annika Drexhage: Erst einmal waren wir überrascht: Es gibt den ‚Grünen Ring‘ im Stadtteil, damit hatten wir gar nicht gerechnet. Zudem gibt es tolle Einzelaktionen, wie die Blumenkübel im Immendal. Auch einzelne Bewohner:innen und die Wohnungsgenossenschaft Duisburg-Mitte gestalten ihre Innenhöfe ganz wunderbar. Es gibt aber in Hochfeld auch sehr viele Menschen, für die Themen wie Klimaschutz und Umwelt außerhalb der eigenen Lebensrealität sind. Der Müll auf den Straßen ist schon enorm, auch in den Grünflächen. Das ist problematischer als in anderen Stadtteilen. In den Schulen wurde uns immer gesagt, dass es keine Kapazitäten in Projektwochen oder anderen Formaten gibt, weil der Fokus auf Sprachunterricht und andere grundlegende Dinge gelegt werden muss.

Die Zukunfttrails sollen da ganz konkret Anreize bieten, sich positiv mit der Stadtteilbegrünung und der Müllproblematik auseinanderzusetzen. Dazu haben wir einen Rundgang durch den Stadtteil mit Best Practice Beispielen entwickelt und diesen „Grüner Zukunftstrail“ genannt. Da haben wir Orte gezeigt, wo schon viel umgesetzt wurde, wie im Immendal, und auch Orte, wo wir Potential sehen.

 

Stichwort Bildungsoffensive: In Hochfeld leben überdurchschnittlich viele Kinder. Was sind die Herausforderungen und wie könnte die Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsoffensive aussehen?

Prof. Dr. Hohn: Die Nachhaltigkeitstransformation sollte die Schulen sowie die Kinder- und Jugendeinrichtungen in den Fokus rücken und unter Einbindung der Eltern auf mehr Chancen-, Zugangs- und Teilhabegerechtigkeit gepaart mit Respekt und Toleranz ausgerichtet sein. Bis zur IGA 2027 sollten die Schulen nachhaltig erneuert, die Schulhöfe im Zeichen der Nachhaltigkeit umgestaltet und die Bildungseinrichtungen stärker in ihr unmittelbares Umfeld integriert werden. Jede Schule braucht zudem ein grün-blaues Klassenzimmer und einen Schulgarten. Gerade die Schüler: innen der weiterführenden Schulen sollten motiviert und dabei unterstützt werden, sich aus der fachlichen Beschäftigung mit dem Thema im Unterricht heraus in Nachhaltigkeitsprojekte im Stadtteil einzubringen.

Yasemin Efe: Zu den Herausforderungen kann ich noch etwas ergänzen. Wir waren mit unserer Gruppe in einer 5. Klasse an der Gesamtschule und haben festgestellt, dass die Kinder nicht richtig lesen und sich schlecht konzentrieren konnten. Es gibt viele Programme für Kinder, aber die Sprachbarrieren sind enorm. Kinder im Grundschulalter sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt, weil die Eltern sie nicht zu den Projekten begleiten oder diese schlicht nicht kennen. Hier muss besser zwischen Eltern und Einrichtungen vermittelt werden.

 

Dr. Hohn, Sie haben eingangs das Stadtbild erwähnt und auch die sogenannten Problemhäuser. Was sind die Ergebnisse aus der Gruppe „Öffentliche Räume“, welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten?

Prof. Dr. Hohn: Wenn vernachlässigte Immobilien als Demonstrationsprojekte nachhaltiger Erneuerung instand gesetzt würden, hätte das unmittelbare Effekte auf das Stadtbild und die Menschen. Mit den Instandsetzungsarbeiten ließen sich zugleich Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche und Arbeitslose in Handwerksberufen verbinden, die für eine nachhaltige Bestandsentwicklung unerlässlich sind. Ausgewählte Problemimmobilien an exponierten Standorten könnten als Ankerimmobilien nicht nur städtebaulich zu Impulsgebern einer Nachhaltigkeitstransformation werden, sondern das Thema auch durch ihre Nutzungim Sinne einer „Villa Kunterbunt“ für die jeweiligen Quartiere adressieren. Dabei bezieht sich die kunterbunte Vielfalt sowohl auf die Mischung unterschiedlicher nachhaltiger Funktionen, angefangen vom Repair- und Upcycling Café über Co-Working Spaces bis hin zu Angeboten rund um Themen wie gesunde Ernährung, Bildung, Kunst und Kultur, als auch auf die Diversität der Menschen, die hier einen Ort für Begegnung und gemeinsame Aktivitäten erhalten.

 

Im Sommersemester 2023 wird sich erneut eine Gruppe von Bachelorstudierenden im Rahmen eines transformativen Projektseminars mit der sozial-ökologischen Transformation Hochfelds auseinandersetzen und die Herausforderungen des Stadtteils unter neuen Gesichtspunkten betrachten. (Foto: Stefan Fercho / IR)

Im Sommersemester 2023 wird sich erneut eine Gruppe von Bachelorstudierenden im Rahmen eines transformativen Projektseminars mit der sozial-ökologischen Transformation Hochfelds auseinandersetzen und die Herausforderungen des Stadtteils unter neuen Gesichtspunkten betrachten. (Foto: Stefan Fercho / IR)

Lassen Sie uns auf das Stichwort „Zukunftsbild“ zurückkommen. Wie könnte das konkret aussehen?

Prof. Dr. Hohn: Aufbauend auf dem ISEK und in synergetischer Verknüpfung mit dem Projekt „Urbane Zukunft Ruhr“ sowie der IGA 2027 könnte unter dem Slogan „Hochfeld packt an und blüht auf“ das Leitbild einer sozial-ökologischen Transformation  handlungsleitend für eine „Grüne Allianz Hochfeld“ sein. Damit wäre das Zukunftsbild für Hochfeld zugleich anschlussfähig an Förderprogramme der EU, die dem Dreiklang aus europäischem Green Deal, Neuem Europäischen Bauhaus (nachhaltig, ästhetisch, inklusiv) und Neuer Leipzig Charta (gerechte, grüne, produktive Stadt) entspringen.

Die sozial-ökologische Transformation, bei der insbesondere Fragen der Chancen-, Zugangs- und Teilhabegerechtigkeit für alle im Fokus stehen, wäre von einer Initiative „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ zu begleiten, die die Transformation des Stadtteils selbst zum Thema macht. Im Rahmen von thematisch oder räumlich fokussierten niedrigschwelligen Living Labs oder Reallaboren würde die Zukunft des Stadtteils gemeinsam erdacht und in experimentellen Projekten gemeinsam gestaltet. Ziel sollte es sein, erste Meilensteine einer ganzheitlichen und integrativen grünen Transformation während der IGA 2027 zu präsentieren.

Für die Akteur:innen aus Politik und Verwaltung bedeutet das vor allem, mehr Ermöglichung zuzulassen, mehr Experimente zu wagen und mehr kooperative Zukunftsgestaltung mit den Akteur:innen aus anderen Systemwelten zu praktizieren. Dafür müssten gewohnte Bahnen verlassen werden. Für die Akteur:innen aus Unternehmen, Verbänden, Stiftungen usw. bieten die Kooperationsallianzen die Chance, gesellschaftliche Verantwortung in konkreten Projekten einer sozial-ökologischen  Transformation  unter  Einsatz  von  Know-how, finanziellen Ressourcen usw. wahrzunehmen. Die Akteur:innen aus der Wissenschaft sind im Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung gefordert, ihren Beitrag mit Mehrwerten für Wissenschaft wie Praxis zu leisten. Die intermediären zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sowie die nichtorganisierten Bürger:innen wiederum sind herausgefordert, sich stärker zu vernetzen, Verantwortung zu übernehmen und Unterstützung aus den anderen Systemwelten aktiv einzufordern.

Werden die Ergebnisse in zukünftige (Uni-)Projekte einfließen bzw. an Akteur:innen im Stadtteil weitergegeben?

Am 14. Juli waren die 24 Akteur:innen, mit denen die Studierenden Interviews geführt hatten, zur Präsentation und Diskussion der von den vier Teams erarbeiteten Ergebnisse ins Blaue Haus eingeladen. Zudem hatte jedes Team die Ergebnisse in einem Poster festgehalten, die bei dieser Gelegenheit vorgestellt wurden. Obgleich die Veranstaltung in die Schulferien und Urlaubszeit fiel, war die Resonanz auf die Einladung zum Austausch sehr positiv.

Im Sommersemester 2023 wird sich erneut eine Gruppe von Bachelorstudierenden im Rahmen eines transformativen Projektseminars mit der sozial-ökologischen Transformation Hochfelds auseinandersetzen. Es wird eine direkte Staffelstab- Übergabe zwischen den Teams geben. Diesmal lautet der Titel der Veranstaltung „Duisburg-Hochfeld als Innovationslabor für eine sozial-ökologische Transformation“. Dabei werden die Studierenden an die jetzt erzielten Erkenntnisse anknüpfen können und hoffentlich mit noch vielen weiteren Akteur:innen aus dem Stadtteil in den Austausch treten. Die Ergebnisse sollen im Oktober 2023 wieder vor Ort präsentiert werden.

Wünschenswert wäre es, wenn sich aus der Arbeit des forschenden Lernens im Stadtteil in Kooperation mit allen für Hochfeld engagierten Akteur:innen ein Reallabor für die grüne Transformation im umfassenden Sinne entwickeln würde. Damit ließe sich Hochfeld dann auch als Modellstadtteil nachhaltiger Transformation im internationalen Austausch positionieren.